Erschreckende Lage der Animationsbranche in Deutschland und was man dagegen tun kann

Die finanzielle Lage der Zeichentrickfilmzeichner in Deutschland ist erschreckend schlecht. Bei Comiczeichnern und Illustratoren sieht es nicht anders aus. In einer aktuellen Studie der AG Animationsfilm werden Fakten offen gelegt, die wirklich erschreckend sind. Ich bin seit über 20 Jahren in der Animationsbranche und im Comicbereich tätig und kenne die Schattenseiten der bunten Welt der Bewegbilder.

Mehr als ein Drittel (38 %) der Befragten musste mit einem Minimaleinkommen unter
16.500 Euro jährlich auskommen. 31 % der Befragten gaben an, von ihrer Tätigkeit
nicht den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Frauen waren dabei deutlich schlechter gestellt. Dort lagen sogar 57 % in der untersten Einkommensklasse (unter 16.500 Euro).
In der höchsten Einkommensklasse über 50.000 Euro fanden
sich dagegen lediglich 5 % der Frauen wieder. Zitat STUDIE AG Animationsfilm 2018

Der Großteil der Befragten gab Bruttostundenhonorare von 10 bis 30 Euro an. Nur 25 % der Befragten waren mit ihrem Einkommen zufrieden.
Im Bereich der Altersvorsorge stellt sich die Situation besonders dramatisch dar.
42 % der Befragten gaben an, über KEINE Altersvorsorge zu verfügen. Von denjenigen,
die Altersvorsorge betrieben, gingen 48 % von einer späteren Altersrente unter 950 Euro aus. 36 % hatten keine Vorstellung von ihrer zukünftigen Rente.“

Wie wir sehen können, haben es Frauen besonders schwer. Seit Jahrhunderten werden Frauen diskriminiert und das gilt auch in der Kunst. Alle kennen Michelangelo, Leonardo da Vinci, Beethoven, Walt Disney, Stan Lee… Zum Glück hat sich in den letzten Jahren vieles geändert. Frauen werden nicht mehr in die Background-Coloration Abteilung gesteckt, sondern können auch in andere Bereiche wie Characterdesign, Storyboard oder Concept-Art Karriere machen. Noch dominiert die Männerwelt der Kreativen, aber ich bin mir sicher, in paar Jahren wird es anders aussehen.

Schlechte Bezahlung – Die Gründe

Warum werden die Animationsdesigner und Comiczeichner so schlecht bezahlt? Die Ursache dieses Problems hat mehrere Gründe. Einen Hauptgrund gibt es nicht, denn es ist eine Art Teufelskreislauf in der Animationsbranche entstanden aus dem keiner mehr so richtig rauskommt.

Die Produktion einer Animation ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch teuer. Wer eine anständige Animation möchte, der muss heutzutage zwischen 6000 bis 12 000 Euro die Minute ausgeben, aber die meisten Auftraggeber wollen und können das nicht zahlen. Für das Kinderprogramm im TV und in den Print Medien braucht man aber Material. Eigenproduktionen sind teurer als der Kauf einer Lizenz und deswegen wird der deutsche Markt seit Jahren mit Zeichentrickserien und Comics aus dem Ausland überschwemmt.
Gibt es doch jemanden, der eine Eigenproduktion wagt, steckt er schnell in folgender Zwickmühle: für Comics und Animation gibt es kaum Fördergelder und Investoren. Fähige Autoren und Künstler sind sehr teuer und wenn man ein international konkurrenzfähiges Produkt realisieren möchte, muss man mit den Besten zusammenarbeiten.

Selbst erfolgreiche Zeichner wie Joscha Sauer, der mit seiner Cartoonserie NICHTLUSTIG in Deutschland berühmt ist und hohe Auflagen verkauft, hat es bis heute nicht geschafft eine eigene Zeichentrickserie auf Pro7 oder RTL zu realisieren. Er hat es versucht, sein eigenes Geld in Pilotfolgen investiert, mit TV Sendern und Produzenten gesprochen und die Werbetrommel für eine mögliche Realisierung in der Öffentlichkeit geschlagen, doch bis jetzt hat es noch kein Sender gewagt. Da setzen die Sender lieber auf amerikanischen und japanischen Humor, der im Moment für ein sichere Quote sorgt und keine anstrengende Produktionsarbeit mit Künstlern beinhaltet.

Eigenproduktionen kosten nicht nur viel Geld, sondern auch viel Zeit und Sorgen. Viele Verlage und TV Sender wissen das und sie sind nicht in der Lage sich in so ein Abenteuer zu stürzen. Riskiert man es doch, dann hat man wirklich als Kreativer oder Animationsstudio viel Glück gehabt, oder auch vielleicht viel Überzeugungstalent, gute Kontakte und Kompromissbereitschaft bewiesen. Schnell merkt jeder – selbst Disney und Pixar – das Geld reicht nie aus. Selbst wenn man 2 oder 20 Millionen Euro in die Hand gedrückt bekommt, ist es zum Arbeitsaufwand nie im Gleichgewicht. Hat es jemand geschafft 2 Millionen für die Produktion einer Serie zu bekommen, bedeutet das in der Regel, man hat das 10fache an Produktionskosten. Und hier beginnt das nächste große Problem.

Produktionsstudios und Verlage müssen mit wenig Geld ein Wunder vollbringen. Das Wunder bedeutet Ausbeutung, heute meistens Out-Sourcing genannt. Man schaut sich in der dritten und zweiten Welt um und sucht nach günstigen Arbeitern und Künstlern. Was die Textilbranche seit Jahrhunderten macht, machen die meisten Animationsstudios seit einigen Jahren auch. Sie lassen die meiste Arbeit im Ausland – meistens in asiatischen Ländern – machen. Anstatt hierzulande 5000 Euro zu zahlen, zahlen sie 50 bis 250 Euro für die gleiche Arbeit. Dank dem Internet spart man sich heutzutage sogar die Reise- und Transportkosten für das Arbeitsmaterial. Vor 20 Jahren wurde meistens ein Team nach Asien geschickt, die per Post und Fax-Gerät ihre Bilder zwischen  Kontinenten verschickten. Leider steht jetzt nicht mehr Geld zur Verfügung, denn die Investoren sind ja nicht dumm. Sie sind Geld-Experten und so investieren sie weniger, da sie wissen, die Kommunikation ist heutzutage billiger.

Da man zu Arbeitskräften im Ausland greift, gibt es sehr wenige Jobs für heimische Kreative. Die meisten dieser Jobs sind schlecht bezahlt und hart umkämpft. Die Zukunfstängste und Konkurrenzkämpfe zwischen den Künstlern sind groß. Wenn wir politisch wären, dann würden wir hier sagen: ein bedingungsloses Einkommen wäre die ideale Lösung, um einen kulturellen Fortschritt zu realisieren. Und nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Wissenschaft. Wie würde Deutschland aussehen, wenn sich die talentiertesten und schlausten Köpfe sich nur auf ihre Arbeit, ihren Ideen oder ihrer Kunst widmen würden? Der Animationsbranche würde das sicher gut tun.

Mit Eigenproduktionen verdient man nichts. Das ist was sich viele TV Sender und Verlage sagen, denn sie haben bis jetzt nicht das Gegenteil erlebt (oder sehr selten erlebt oder sogar das Gegenteil). Das können sie mit Fakten und Quotenberichte beweisen und so ist es sehr schwer einen Investor für eine Eigenproduktion zu gewinnen. Man steckt also in dieser Zwickmühle. Um einen Investor für eine Eigenproduktion zu finden muss man erst eine erfolgreiche Eigenproduktion gemacht haben. Eine erfolgreiche Eigenproduktion kann man nicht vorzeigen, da man keinen Investor findet. Kein Käufer (Investor) kauft die Katze im Sack und das ist verständlich.

Animationsbranche – Die Lösung, oder RISKIERT MEHR

Ein deutscher Zeichner, der einen frankobelgischen Comicklassiker wie Spirou & Fantasio zeichnen darf, das ist eine kleine Sensation.
Der beliebte Zeichner Flix versetzt die Figuren in das Ostberlin der 1980er-Jahre. Sie sind auf der Suche nach Graf Rummelsdorf, der verschollen ist, und decken dabei höchst merkwürdige Dinge auf, denn in Ostberlin werden Badewannen entführt und zudem treffen die Helden auf einen alten Bekannten… / Copyright + Pressetext Carlsen 2018

Ich hoffe, ich bete und ich wünsche mir, dass sich die Arbeitslage für Animationsdesigner und Comiczeichner verbessert. Das TV Sender es doch wagen einige Millionen mehr in Animationsserien und Filme zu investieren.

Eine Investition kann sich auszahlen. Eine Serie wie THE SIMPSONS, ONE PIECE, SOUTHPARK und wie sie alle heißen, kann hierzulande auch realisiert werden und wenn man das schafft, dann kann man damit eine Menge Geld verdienen. NETFLIX hat das realisiert und investiert eine Menge Geld in ANIMES, denn sie wissen, wenn man jetzt nicht investiert, wird man in Zukunft abhängig. Der deutschen Comicverlagsszene ist das passiert. Sie können nur überleben, weil sie erfolgreiche Lizenzserien wie One Piece, The Walking Dead, The Avengers, Asterix, Spirou, Death Note, Detektiv Conan etc. veröffentlichen. Nun sind sie in der Spirale gefangen, dass sie das meiste Geld und die meiste Zeit in die Lizenz-Arbeit investieren müssen, sich von den Lizenzgebern ihre Arbeit diktieren müssen und keine echte Möglichkeit haben viel Geld in eine Eigenproduktion zu investieren. Das wiederum führt dazu, das die talentiertesten Zeichner und Autoren gezwungen sind in der Werbebranche und Games Bereich einzusteigen, oder ins Ausland auswandern, oder einfach mit dem Zeichnen aufhören, um einen „anständigen“ Job zu finden.

Wie kann man die Lage ändern?

Ich will keinen Jammer-Beitrag schreiben, denn ich bin und war nie jemand der jammert, deswegen sage ich: Riskiert etwas!
Verlage und TV Sender sollen neu kalkulieren und es wagen in eine Eigenproduktion zu investieren. Zum Beispiel könnte PRO7 in eine JOKO UND KLAAS Animationsserie realisieren. Manga und Comicverlage wie EGMONT / CARLSEN / TOKYOPOP / KAZÉ etc. könnten eine gemeinsame Comic-Manga Anthologie für deutsche Eigenproduktionen produzieren. Die Kosten und den Arbeitsaufwand könnte man sich teilen und so eine ganz neue Plattform für neue Talente und Projekte entwickeln.

Klaas / Millus 2018

Künstler könnten auch mehr riskieren und versuchen eigene Projekte zu starten. Sich selbst Jobs erschaffen und nicht nur auf die Suche nach neuen Jobs gehen. Manchmal muss man sich selbst helfen, wenn niemanden einem hilft. Ist leichter gesagt als getan, ich weiß, aber manchmal hat man keine andere Wahl.

Trotz der schwierigen Lage geben viele nicht auf, denn bei der Kunst geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Liebe und Leidenschaft. Warum zeichnest du Comics oder machst Zeichentrickfilme, wenn die Arbeitslage so schlecht ist und du nicht mal deine Miete zahlen kannst? Diese Frage bekommen sehr viele Kreative gestellt und nur Kreative, die ihre Kunst lieben und diesen Drang verspüren zeichnen zu müssen, können die Antwort nachvollziehen oder mitfühlen.

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